Politik

Bauern und Verbraucher fordern Agrar- und Ernährungswende

Wir haben es satt! - Demonstration


(Quelle: Mario Graß)
(Quelle: Mario Graß)
GDN - Um gegen die aktuelle Agrar- und Ernährungspolitik Stellung zu beziehen, gingen am Samstag - aufgerufen von mehr als 100 Organisationen - zum mittlerweile achten Mal 33.000 Demonstranten, unter dem Motto “Wir haben es satt!“, auf die Straße.
Beeindruckender Traktorkonvoi im Regierungsviertel
Quelle: Mario Graß
Die Motoren eines nicht enden wollenden Traktor-Konvois sowie ein unüberhörbares Kochtopf-Konzert ertönten vor einigen Stunden im Berliner Regierungsviertel, wo zehntausende Menschen für gesundes Essen und gute Landwirtschaft auf die Straße gegangen sind. Der Protest richtete sich gegen die Bundesregierung sowie die in Berlin versammelten Agrarminister der Welt. Zentrale Themen der Demonstration waren der Glyphosat-Ausstieg in Deutschland, der Umbau der Ställe hin zu artgerechter Tierhaltung und ein Ende der landwirtschaftlichen Dumping-Exporte, die bäuerliche Existenzen in Deutschland und weltweit zerstören.
Dr. Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen)
Quelle: Mario Graß
Zum mittlerweile achten Mal hatte ein breites Bündnis von Bäuerinnen und Bauern sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen zu dem jährlichen Protest im Zentrum von Berlin aufgerufen. Am Vormittag versammelten sich die Demonstranten, deren Zahl sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt hat, am Berliner Hauptbahnhof, wo sie von dem Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Dr. Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) begrüßt wurden.
Quelle: Mario Graß
Quelle: Mario Graß
Quelle: Mario Graß
Demonstration vor dem Bundeswirtschaftsministerium
Zunächst führte der Weg die Demonstranten - angeführt durch den beeindruckenden Traktor-Konvoi - zur internationalen Agrarministerkonferenz, wo derzeit LandwirtschaftsministerInnen aus aller Welt zusammengekommen sind. Während im Gebäude auf Einladung der Bundesregierung MinisterInnen aus der ganzen Welt tagten, sandten die Demonstranten - ausgestattet mit Kochtöpfen - von draußen ein unüberhörbares Signal für eine andere Agrarpolitik.
Protest gegen Minister Schmidt
Quelle: Mario Graß
Die Kritik richtete sich insbesondere gegen Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt, dem vorgeworfen wurde, zentrale Herausforderungen nicht anzunehmen. Für die Demonstranten verkörpert der CSU-Politiker vier Jahre des Stillstands. Ungebremstes Höfesterben, ruinöse Exportorientierung, Artenschwund und immer größere Tierfabriken - gegen all das habe der Minister nichts unternommen.
Den Ausstieg aus der flächendeckenden Pestizid-Anwendung, der die Zerstörung der Artenvielfalt stoppen würde, habe Schmidt mit seinem umstrittenen Glyphosat-Votum verhindert. Von der kommenden Bundesregierung forderten die Demonstranten unmissverständlich: Eine Fehlbesetzung wie Minister Schmidt dürfe es künftig nicht mehr geben. Die Themen Landwirtschaft und Ernährung seien für die Menschen hierzulande zu wichtig, um diesen Posten einem Vertreter von reinen Industrieinteressen zu überlassen.
Quelle: Mario Graß
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Quelle: Alexander Puell
Zur Mittagszeit erreichte der Demonstrationszug das Brandenburger Tor, vor dem die Abschlusskundgebung stattfand. Auf der großen Bühne sprach unter anderem die junge Bäuerin Elisabeth Freesen, die mit dem Traktor aus Niedersachsen angereist war, zu den Demonstranten: “Ich bin eine junge Bäuerin und ich liebe meinen Beruf. Ich übernehme gerne Verantwortung für den Hof, die Region und eine zukunftsfähige, bäuerliche Landwirtschaft. Zusammen mit den vielen anderen jungen Menschen, die die Demonstration anführen, setze ich mich für eine Zukunft auf dem Land ein. Wir wer-den unsere Äcker und Teller nicht der Agrarindustrie überlassen.“
Prominente Unterstützung erhielten die Demonstranten von TV-Koch Ole Plogstedt, der seine Position deutlich machte: “Es geht um viel mehr, als nur um unser Essen. Eine vernünftige weltweite Agrarwende würde nicht nur Tierleid minimieren, sondern ebenfalls dem Welthunger und der Umweltzerstörung entgegenwirken. Nicht zuletzt würde sie auch Menschenrechte und Gesundheit schützen und sogar Fluchtursachen bekämpfen. (“¦) Mir ist es enorm wichtig, auf die aktuellen Missstände aufmerksam zu machen. Ich würde die Leute gerne darin bestärken, sich zu wehren und Widerstand zu leisten. Der Druck von der Agrarlobby ist groß und die Akteure sind finanzstark. Wenn ich dazu etwas beitragen kann, bin ich dabei“¦“
Mit Blick auf den morgigen SPD-Parteitag appelliert Martin Schulz als Sprecher der Traktorfahrer an sei-nen sozialdemokratischen Namensvetter, endlich Mut und Klarheit für eine zukunftsweisende Agrarpolitik zu beweisen. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft sagt: “Viele Bauern haben sich schon längst auf den Weg gemacht und verändern die Landwirtschaft Tag für Tag. Leider noch ohne die Unterstützung der Politik. Wir Bauern brauchen jetzt eine zukunftsfähige Politik, die verlässliche Entscheidungen trifft und Probleme löst. Der Stillstand der alten GroKo hat zu einer Spaltung zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft geführt. Da müssen wir raus.“
Quelle: Mario Graß
Quelle: Mario Graß
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Bei einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa sprachen sich 78 Prozent der Befragten dafür aus, dass Landwirte Gelder nach ihrem Beitrag für die Gesellschaft erhalten sollten. Nur neun Prozent befürworten hingegen eine Beibehaltung des derzeitigen Systems. Das Ergebnis einer weiteren repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab, dass eine deutliche Mehrheit von 88 Prozent der Deutschen eine Landwirtschaftspolitik fordert, die den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen fördert.
Folgerichtig sind 80 Prozent der Ansicht, dass Landwirte zukünftig ausschließlich Agrarsubventionen erhalten sollten, wenn sie Boden, Wasser und Artenvielfalt schützen. Auch in Hinblick auf ihr eigenes Konsumverhalten zeigten sich die Befragten selbstkritisch: Fast Dreiviertel (72 Prozent) würden etwas höhere Lebensmittelpreise akzeptieren, wenn dadurch Landwirte, die Boden, Wasser und Artenvielfalt schützen, wirtschaftlich überleben können.
Quelle: Mario Graß
Dem gesellschaftlich gewollten Umbau der Landwirtschaft fehlt jedoch bislang weitestgehend die politische Unterstützung, denn Landwirtschaftspolitik in Deutschland ist vorrangig Industriepolitik, bei der Lobbyisten der Großkonzerne und Politik eine unheilvolle Allianz eingehen. Die Forderungen nach gesundem Essen, artgerechter Tierhaltung und Bewahrung der Natur müssen daher unüberhörbar werden.
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