Politik

Baerbock will nach Merkel-Rede Schritte zu gestärktem Europa

Annalena Baerbock
(Quelle: über dts Nachrichtenagentur)
GDN - Grünen-Chefin Annalena Baerbock fordert nach der Europa-Rede von Angela Merkel (CDU) weitere Schritte auf dem Weg zu einem gestärkten Europa. Die Unterstützung für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron reiche nicht aus, sagte Baerbock der "Heilbronner Stimme" (Donnerstagsausgabe).
"Bei nächsten Haushaltsverhandlungen sollte ein deutscher Finanzminister entsprechende Gelder bereitstellen, wenn Großbritannien künftig ausfällt", so Baerbock weiter. Zudem fordert sie eine Ausweitung des Erasmus-Austauschprogramms. Baerbock sagte zur Europa-Rede Merkels: "Es war überfällig, dass die Bundeskanzlerin mit Leidenschaft für Europa spricht. Aber das eine sind die Worte im Europaparlament, das andere, was die Regierung tatsächlich anpackt und umsetzt", so die Grünen-Chefin. Und da sei Merkel bislang vieles schuldig geblieben. "Das fängt an bei der Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion, der tatsächlichen Regulierung des Finanzmarktes und der digitalen Wirtschaft. Und es geht weiter bei der Zusammenarbeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen", so Baerbock. Auf den Tisch müssten aber auch ehrgeizigere Klimaziele, der Ausstieg aus der Kohle und ein Umstieg auf Autos ohne klimaschädliche Abgase. "Darüber hat Frau Merkel ja noch nicht mal gesprochen, obwohl konkrete Vorschläge da sind. Jetzt heißt es also in all den Fragen: Butter bei die Fische", so die Grünen-Politikerin. Die Botschaft an Frankreich und die anderen EU-Staaten müsse sein: "Wir sind bereit zu handeln und dieses Haus Europa weiter zu bauen. Wir stehen vor sehr großen Herausforderungen: Globalisierung, Digitalisierung, Klimakrise und Migrationsfragen." Der französische Präsident Emmanuel Macron habe dazu schon vor eineinhalb Jahren umfassende Vorschläge gemacht, EU-Kommissionspräsident Juncker habe seinerseits vor einem guten Jahr Ideen präsentiert, wie man Europa weiter voranbringen könne. "Nur die Bundesregierung hat geschwiegen. Das ist fatal für das Ansehen Deutschlands innerhalb Europas und fatal für das europäische Projekt", so Baerbock weiter. Auf die Frage, ob die Beziehungen zu den europäischen Freunden derzeit besonders wichtig seien, weil auf die US-Regierung unter Donald Trump weniger Verlass ist, sagte sie: "Ja. Europa muss insgesamt weltpolitikfähig werden. Wir haben im Syrienkrieg gesehen, dass sich plötzlich sogar Nato-Bündnispartner wie die USA und die Türkei gegenüberstehen." Das Agieren der USA, Russlands und auch Chinas verlange, dass Europa eine andere Rolle übernimmt: "Es muss seine Sicherheit selbst stärker in die Hand nehmen und in Sicherheitsfragen viel enger zusammenarbeiten", so Baerbock. Die Grünen-Chefin lobte den Mut Macrons und den des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl: "Es ist ganz offensichtlich, dass einige Länder auf der Bremse stehen. Aber dann ist die richtige Antwort doch: Die anderen Länder müssen vorangehen, zum Beispiel für eine geordnete und humane Flüchtlingspolitik in Europa." So sei es immer in der Europapolitik gewesen. Keiner der europäischen Schritte sei vom Himmel gefallen. "Helmut Kohl ist beim Abbau der Schlagbäume in Europa mit dem Schengen-Abkommen mutig vorangegangen, ebenso bei der Euro-Einführung, übrigens gemeinsam mit den Partnern in Paris. Diese Bereitschaft zum Mut zeigt auch Macron. Die deutsche Bundesregierung dagegen ist mutlos", so Baerbock weiter. Europa sei "das größte Friedensprojekt, das wir je hatten. Es entstand, weil Männer und Frauen trotz Krieg und Zerstörung den Mut und den Willen hatten, ein einiges Europa zu schmieden. Mit dem klaren Ziel: Nie wieder Krieg. Das dürfen wir nie vergessen", so die Grünen-Politikerin. Und der Brexit mache die konkreten Gefahren eines Zerfalls der EU sehr deutlich. "Wir sind ein Land, das vor allem von seinen Exporten lebt. Wir können überall arbeiten und grenzenlos reisen. Wenn wir uns unsere europäische Freiheit nehmen lassen, berauben wir uns unserer Chancen und Hoffnungen", so Baerbock weiter. Die Grünen-Chefin fordert, dass bei den nächsten Haushaltsverhandlungen ein deutscher Finanzminister entsprechende Gelder bereitstellt, wenn Großbritannien künftig ausfällt. "Wir alle sind Europa. Und wir werden keines der derzeitigen Probleme allein im nationalen Kämmerlein lösen können. Wer will, dass Europa eine stärkere Verantwortung in einer globalisierten Welt übernimmt, wer will, dass Europa in Infrastruktur, Netzausbau oder gemeinsame soziale Projekte investiert, der muss auch die Mittel dafür geben", sagte Baerbock. Solidarität sei keine Bekenntnisfrage, sondern messbar. "Bei nächsten Haushaltsverhandlungen sollte ein deutscher Finanzminister entsprechende Gelder bereitstellen, wenn Großbritannien künftig ausfällt. Uns allen muss klar sein: Deutschland profitiert vom europäischen Binnenmarkt wie kein anderes Land", sagte die Grünen-Chefin. Baerbock schlägt auch einen Ausbau des Erasmus-Austauschprogramms vor: "Wir lernen durch Erfahrungen im Ausland und Freundschaften dort. Dass das Erasmus-Austauschprogramm zum Beispiel lange nur für Studierende möglich war, halte ich für einen Fehler. Wir sollten es richtig ausbauen - auch für Schüler, Auszubildende und für Berufstätige, die sich in ihrem Berufsleben weiterbilden möchten." Dafür solle die EU entsprechend Geld zur Verfügung stellen. "Es sollte künftig heißen: Erasmus für alle!", so die Grünen-Politikerin. Zudem fordert Baerbock, die Beziehungen zu den EU-Partnern im Osten nicht zu vernachlässigen: "Der deutsch-französische Motor muss funktionieren, deshalb ist es so gravierend, wenn Deutschland ausfällt. Bei allen großen Reformprojekten gab es stets eine enge Abstimmung zwischen den Nachbarn. Ähnlich wichtig für uns ist das Weimarer Dreieck aus Deutschland, Frankreich und Polen." Sicher sei es nicht immer einfach mit der Regierung in Warschau, die Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit seien nicht akzeptabel und zu Recht ziehe die EU-Kommission Konsequenzen. "Aber gerade die westeuropäischen Staaten haben zuletzt die Osteuropäer auch oft vor den Kopf gestoßen", so Baerbock weiter. Sie denke da zum Beispiel an die Diskussion über die Gasleitung Nordstream 2. Russland wolle sein Gas direkt nach Westeuropa und insbesondere Deutschland leiten. "Das ist aber ein massiver Affront gegen die osteuropäischen Länder, die nach der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine Angst davor haben, dass sie von Europa abgehängt werden", so die Grünen-Chefin. Zugleich fürchteten sie die russische Dominanz. Dieses Bedrohungsgefühl müsse man ernst nehmen. "Europa funktioniert nur, wenn man gerade die kleineren Staaten nicht vergisst und ihre Anliegen ernst nimmt - und Deutschland sich im Zweifel an ihre Seite stellt", so Baerbock.
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